Warum diese Webseite? Und warum dieser Name: „freitagsplastikfrei“?
Am Anfang stand die Frage – angesichts täglich neuer Nachrichten über die Ressourcenausbeutung, den drohenden Klimakollaps, das Artensterben, über die Vermüllung unseres Planeten – wie es wäre, wenn jede/r das ändern würde, was sich leicht ändern liesse?
Zum Beispiel beim Thema Plastik. Wir wollten Menschen dazu einladen, wenn schon nicht vollständig plastikfrei zu leben – was einfach sehr aufwändig ist – so doch Plastik überall da einzusparen, wo es leicht möglich ist. Und weil Klima und Plastikkonsum eng zusammenhängen (siehe weiter unten) haben wir den Freitag mit im Namen – den Tag, der durch Fridays for Future mit der Klimakrise und dem notwendigen Wandel verbunden ist.
Doch uns wurde schnell klar, dass es nicht reicht, wenn einzelne immer mehr Plastik einsparen und wenn bei uns zuhause immer weniger Müll im „Gelben Sack“ landet – weil insgesamt der Plastikverbrauch weiter steigt und steigt.
Gerade bei uns in Deutschland hat das Recycling die Illusion geschaffen, dass alles in Ordnung ist, so lange wir unseren Müll nur ordentlich trennen – und offenbar hat gerade dadurch der Verpackungsirrsinn immer weiter zugenommen (worauf wir weiter unten noch genauer eingehen werden). Der Overshoot-Day kommt jedes Jahr früher, die Umweltprobleme summieren und verstärken sich gegenseitig.
- Zwischen 1950 und 2015 wurden weltweit 8,3 Milliarden Tonnen Plastik produziert – das ist mehr als eine Tonne pro Mensch, der heute auf der Erde lebt. Und: Nicht einmal zehn Prozent des jemals produzierten Kunststoffes sind recycelt worden.
- Geht die Plastikproduktion ungebremst weiter, werden allein Kunststoffe bis 2050 rund 56 Gigatonnen CO2-Emissionen erzeugt haben. 10 bis 13% des verbleibenden CO2-Budgets für das 1,5-Grad-Ziel ginge so auf das Konto von Kunststoffen.
- Von den in Deutschland 2017 angefallenen 5,2 Millionen Tonnen Kunststoffabfällen wurden gerade mal 15,6 Prozent wiederverwertet. Selbst wenn die Quote erhöht werden kann: Wir können nicht länger alles in Plastik einpacken.
Ein aktueller, umfassender Überblick: Der Plastikatlas der Heinrich-Böll-Stiftung und des BUND (als download oder kostenlos hier zu bestellen).
Wir sind in einer absurden Situation: Einerseits werden Plastikstrohhalme (ab 2021) verboten, andererseits boomen z.B. „Quetschies“, in Plastik und Aluminium verpackte Kinderlebensmittel, wie nie zuvor. Zwischen 2010 und 2012 stieg z.B. der Umsatz von jufico („FruchtBar“-Quetschies), um mehr als 250 Prozent.
Das heißt, im gleichen Maß stieg auch der Verpackungsmüll. Müll, den es bis dahin nicht gab und den es nicht gäbe, würde man Kindern einen Apfel reiben oder ein Stück Möhre einfach in die Hand geben. Es wäre gesünder, billiger, besser für die Kinder und für die Umwelt.
Doch der Markt für etwas, was so gut funktioniert und so viel Gewinn verspricht (ein paar Stücke Obst können so mehr als dreimal so teuer verkauft werden wie frische Ware), ist riesig. Und lukrativ. Zudem gibt es immer weitere Zielgruppen, Zitat z.B. der Firma Erdbär: „Auch für Sportler sind die praktischen Quetschies mittlerweile ein gefragter Snack für zwischendurch.“ Neuerdings finden sich auch Quetschies für Erwachsene, die als „Immun Smoothies“ beworben werden.
Wir starteten eine Petition gegen die Quetschies. In den Kommentaren erfuhren wir, wie viele Menschen genug haben von diesem Plastik-Irrsinn viele waren wütend, frustriert, aber auch dankbar, dass wir den Aufruf gestartet hatten.
Auch die Firmen reagierten: Innerhalb einer Woche meldeten sich verschiedene Quetschie-Hersteller, die uns von neuen, besseren, recyclebaren Verpackungen oder solchen aus „nachwachsenden Rohstoffen“ überzeugen wollten.
(zum Aufklappen) Zitat aus einem Schreiben an uns
„Wir finden es wirklich sehr gut, dass Ihr Euch so stark für den Umweltschutz engagiert. (…) Wir haben es uns zur Mission gemacht, Kinder mit frischem Obst und Gemüse anzufreunden. Das wollen wir besonders mit unserer bunten Contentwelt erreichen. Wir würden gerne mit Euch unsere Ideen für unsere neuen Quetschie-Verpackungen teilen. Habt Ihr Lust?“ Nein, hatten wir nicht. Wir sagten freundlich ab.
Wir wollten darüber nicht diskutieren. Verpackungen aus „nachwachsenden Rohstoffen“ sind keine Lösung, da sie landwirtschaftliche Flächen verbrauchen, die wir mehr und mehr für Nahrungsmittel benötigen werden anstatt für unsinnige Verpackungen.
Wir lernten unglaublich viel über Greenwashing. All das kennen wir natürlich auch aus anderen Produktbereichen, aber es war dennoch lehrreich, das einmal an einem Beispiel im Detail zu sehen: bis zu fünf Ökolabels auf den Verpackungen. Charity. Upcycling. Und so weiter.
Jede Firma hat eine eigene Greenwashing-Strategie.
Ein Beispiel.
Was bedeutet der Satz: Wir recyclen zu 100%? Etwa, dass alle Quetschie-Verpackungen dieser Firma fachgerecht recycelt werden? Nein. Es heißt, dass man Verpackungen zurückschicken kann, wenn man ganze einhundert Stück davon gesammelt hat. Wer kauft einhundert Quetschies und bewahrt den Müll monatelang auf, um ihn dann zu verpacken und zurückzuschicken? Aber darum geht es ja auch nicht. „100 % Recycling“ liest sich einfach gut.
Das Greenwashing betrifft auch die Supermärkte und Drogerien. Dm steht seit langem wegen der Plastikvermüllung in der Kritik. Auf unser Petitions-Schreiben (im Namen von immerhin 67.000 Unterstützern) haben wir nicht einmal eine Antwort bekommen. Und das, obwohl dm eine Agentur engagiert hat, die sich um die Aussenwerbung kümmert und den grünen Anstrich der Drogeriekette immer weiter treibt.
„Wir wollen uns als Teil einer Gemeinschaft empfinden können, die ihren Beitrag zu einer lebenswerten Gesellschaft leistet,“ heißt es auf der dm-Webseite. Will dm sich nur so empfinden können? Oder es tatsächlich sein?
Die Illusion des Recyclings
Bereits 2016 wurde dm mit 84.000 Unterschriften gegen die Vermüllung konfrontiert. Damals hatte Geschäftsführers Erich Harsch „zugesichert, Hinweise zur Verbesserung des Ressourcenschutzes bei Produkten und Verpackungen fundiert zu prüfen“. Was ist seither passiert? Auch hier, wie bei allen vagen Absichtserklärungen in Wirtschaft und Politik: Das Gegenteil dessen, was versprochen wurde:
Im Juni 2019, als wir unsere Petition starteten, hatte dm ganze 130 verschiedene Quetschie-Sorten im Angebot. Ende August 2019 sind es 150.
Und das ist natürlich nur eine Produktpalette von vielen.
Was wir noch so gefunden haben:
75ml reines Wasser in Alu-Spray-Flaschen. Haarparfüm. Staubsaugerdeo. Einmal-Wickelunterlagen. Einwegbeutel für benutzte Windeln. Einwegfeuchttücher für Gesicht, für den Babypopo, für Schuhe, Fußböden, Möbel. „Mama-Brustreinigungs-Einwegfeuchttücher“ für stillende Mütter. So viele Petitionen kann man gar nicht starten.
Ein Umdenken ist weiterhin nicht in Sicht. Wie auch, wenn der Umsatz immer weiter steigen soll? Stattdessen werden lediglich die Strategien ausgefeilter. dm wirbt mittlerweile mit dem Slogan: „Gemeinsam recyclen. Gemeinsam Werte schaffen.“ Klingt gut. Doch Recycling ist nicht die Lösung. Müllreduktion wäre dringend notwenig, angesichts der riesigen Müllberge, für deren Entsorgung wir alle zahlen, und die nicht mehr zu bewältigen sind.
Die Deutsche Umwelthilfe schreibt im August 2019: “Deutschland steht im Pro-Kopf-Verbrauch von Einweg-Verpackungen an der Spitze der europäischen Staaten. Diese absurde Ressourcenverschwendung muss ein Ende finden. Entgegen aller Behauptungen von Politik und Konzernen, können wir dieses Problem mit Recycling nicht in den Griff bekommen.”
Die Süddeutsche Zeitung weist darauf hin, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Plastikverpackungen tatsächlich recycelt wird. Der überwiegende Teil der Einweg-Verpackungen landet in der Umwelt, wird in Müllverbrennungsanlagen verbrannt oder wird nach Malaysia, Indonesien oder Indien exportiert, wo vieles auf Deponien landet und von dort ins Meer gelangt, mit den bekannten Folgen für die Lebewesen in den Ozeanen und die menschliche Nahrungskette.
Das heißt, laut SZ: “Der Anteil dessen hingegen, was die meisten braven, aber nicht immer kenntnisreichen deutschen Sammler und Sortierer unter Recycling verstehen, dass nämlich aus dem Plastikbehältnis wieder ein Plastikbehältnis entsteht, liegt bei weit unter zehn Prozent. Deutschland ist ein Land, das sich selbst betrügt. Die Bilanz nach 30 Jahren Mülltrennung ist niederschmetternd. Sie ist leider auch das Ergebnis eines Politikversagens.”
dm und Rossmann haben sich mit 30 Unternehmen (wie Henkel, Procter & Gamble oder Beiersdorf) nach monatelangen Diskussionen auf ein Logo geeignet, das den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt: Es weist auf einen “hohen Recycling-Anteil” hin, jedoch ohne präzise Angaben zur Prozentzahl oder Plastikart.
Die SZ kommentierte:
“Wer nun, einige Tage nach Einführung des Logos, durch die dm-Filialen geht, dem fällt auf, dass dm das Logo nicht nur, aber besonders oft dafür verwendet, seine Eigenmarken zu bewerben. So, als wäre es ja auch naiv gewesen zu glauben, den Unternehmen gehe es wirklich um die Umwelt und nicht um den eigenen Vorteil. Das Thema Plastikmüll ist in der Gesellschaft emotional so aufgeladen, dass die Firmen es jetzt dafür nutzen, sich möglichst “grün” zu geben. In den Drogeriefilialen ist das nun zu besichtigen.” Auch Hersteller werben immer wieder mit unsinnigen Recycling-Aufklebern, oder, wie Procter & Gamble, mit “Ocean Plastic”-Flaschen, obwohl längst nachgewiesen ist, dass sie mit Plastik aus dem Ozean nichts zu tun haben. Mit dem Label von dm und Rossmann gibt es jetzt eine weitere Gelegenheit, “sich mithilfe der Kampagne grünzuwaschen”, so die SZ.
Sind unsere Kinder “Glückskinder”?
Noch eine Strategie aus dem Hause dm: Mit der Aktion „Glückskind“ will man junge Familien an die hauseigene Produktpalette binden – und die Illusion schaffen, dass man etwas für die Umwelt tut: „Gemeinsam können wir viel bewegen. Unserer Umwelt zuliebe!“ Klingt super, oder?
Polli, der Eisbär, und das Plastik
Und da dürfen auch die Kinder mitmachen, bei „Polli und das Plastik“, einem “35 bis 45minütigen Workshop”. Dabei werde Kindern im Alter von 3 bis 8 Jahren „der richtige Umgang mit Plastik spielerisch nähergebracht.
Ein Zitat von der Webseite von dm:
“Dabei werden die Kids selbst aktiv, denn rund um Pollis „Eisscholle“ liegt Müll verteilt. Die Workshop-Leiterin bringt dafür Müll mit in den dm-Markt, wo sie dann gemeinsam mit den Kindern entscheidet, was damit geschieht. – Es war toll zu sehen, wie die Kleinen voll bei der Sache waren und nachgefragt haben, sagt eine Mitarbeiterin aus dem dm-Markt.”
Vielleicht war die Idee der Initiatoren bei “Dr. Bronners” ja sogar gut gemeint. Auf der Webseite der Kooperationspartner heisst es: „Die Erlebnisreise ,,Polli und das Plastik“ ist in enger Zusammenarbeit mit den Kindergärten des DRK und den Grundsätzen der Montessori-Reformpädagogik entwickelt worden. Die Ergebnisse waren überwältigend, indem in den jeweiligen Kindergärten sich nicht nur ein entsprechendes Bewusstsein im Rahmen der Organisationsstruktur entwickelt hat, vielmehr prägten die Kinder grundlegend das Denken und die Einstellung ihrer Eltern zum Umgang mit Plastik neu.“
Sorry, aber da stellt sich doch die Frage: Warum sollen 3- bis 8-jährige Kinder “grundlegend das Denken und die Einstellung ihrer Eltern zum Umgang mit Plastik neu prägen”? Warum sollen ausgerechnet sie die Verantwortung für die Vermüllung und für das Überleben der so symbolträchtigen Eisbären übernehmen?
Und wenn sie es dann wirklich tun – sobald sie etwas älter sind und die Zusammenhänge sehen – wird man sie dann ernst nehmen? So wie „fridays for future“, die immer wieder eine massive Entwertung in den Medien erleben? Welche Perspektiven haben die heutigen “Glückskinder”? Wie sieht deren Welt in zehn, elf Jahren aus, also 2030, wenn die Auswirkungen der Klimakrise auch bei uns längst angekommen sind? Wie passen Klimafakten und die bunte Werbewelt zusammen?
Ein Kommentar auf unserer Petitionsseite: „Ich unterschreibe, weil ich einen kleinen Bruder habe und mir Sorgen um seine Zukunft mache.“
Noch ein Zitat aus dem „Plastikatlas“: Eine Handvoll multinationaler Konzerne kontrolliert den globalen Plastikmarkt. Der größte europäische Plastikkonzern Ineos investiert Milliarden, um mit billigem Fracking-Gas aus den USA die Plastikproduktion in Europa weiter anzuheizen.
Die vorläufige Bilanz unserer Petition: Es sieht wohl so aus, dass wir trotz der über 67.000 Unterstützer nichts erreichen werden – außer, dass die Strategien der Unternehmen immer ausgefeilter werden.
Was bedeutet es, wenn wir es nicht einmal schaffen, dort auf Plastik zu verzichten, wo es so leicht möglich wäre? Dort, wo es für Verbraucher lediglich um etwas Bequemlichkeit geht – für die Firmen allerdings um riesige Gewinne?
Wir haben in diesem Sommer noch andere Petitionen mit begleitet, unterstützt und selbst gestartet. Doch egal ob es regionale, deutschlandweite oder globale Themen betrifft, überall zeigt sich das gleiche strukturelle Problem: Offensichtlich ist noch immer niemand dazu bereit, auf eigene kurzfristige materielle Vorteile zu verzichten. Selbst dann nicht, wenn es um unser aller Überleben geht – und dass das keine Phrase, kein Moralisieren, sondern Realität ist, zeigen uns die Klimafakten.
Als Verbraucher leben wir noch immer in “erlernter Sorglosigkeit”. Und als Akteure orientieren wir uns noch immer an der Gewinnmaximierung. So gut wie alle Werbeslogans gehören zu einer der beiden Kategorien. Das Greenwashing gehört zur “erlernten Sorglosigkeit” dazu: Wir können Produkte kaufen, die uns die Illusion geben, dass andere sich schon ausreichend um die Klimakrise und drängende Zukunftsfragen kümmern werden. Ohne dass wir auf eigene Bequemlichkeit verzichten müssen. Siehe oben.
Die kleinen Quetschie-Beutel brachten uns also zu sehr grundlegenden Fragen. Und so ist der Themenkreis dieser Webseite sehr viel weiter geworden. Bloß der Name ist geblieben.
Nachtrag 1: Ein Bild (Danke, Stefan!) vom Evgonimos Strand im Norden Karpathos. Er schrieb uns: “Dorthin führt keine Straße, der nächste Ort Olymbos ist nur in einer zweistündigen Wanderung über schmale Pfade erreichbar. – So sehen alle Strände im Nordwesten von Karpthos auf, wo der Meltemi, der Ägäis-Wind, den Müll der Ägäis an die Küsten und in die Buchten treibt. Man steht einfach fassungslos da.
Nachtrag 2: Die Deutsche Umwelthilfe kämpft ausdauernd und hartnäckig gegen Einweg-Plastik, Infos zur aktuellen Kampagne gibt es hier.