Angesichts der Klimakrise – Was können wir tun statt abzuwehren?

Die Klimakrise ist ein menschliches Phänomen: eine Konsequenz aus dem, wie wir leben, wie wir uns auf die Erde und auf einander beziehen. Es ist nicht „die Klimakrise“, die uns bedroht. Es ist unser gegenwärtiges gesellschaftliches Verhalten, es ist unsere gewohnte Art auf Kosten Anderer „gut“ und „selbstverwirklicht” zu leben, es ist unsere Kultur von Individualisierung – das heißt oft auch Unsolidarität, Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit, ja Unberührbarkeit, die uns und unsere Umwelt, unser Klima und so viele Lebensformen zerstört.

Sich nicht berühren und erschüttern zu lassen, ist eine Form von Abwehr: ein zutiefst menschlicher psychischer Mechanismus, der uns eigentlich schützen soll – ungeprüft aber zu Kontaktlosigkeit zu uns und anderen und zur Zerstörung führt.

  • Täglich sterben bis zu 200 Spezies aus. Der Biologe Edward O. Wilson nennt das, was vor uns liegt, das “Zeitalter der Einsamkeit“ . Wie berührt uns das?
  • Wie gehen wir damit um, dass unsere Wirtschaft (durch Sojaanbau, Palmöl, den Abbau seltener Erden usw.) die Grundlage anderer Menschen wie z.B. im Regenwald zerstört? Wie lassen wir uns davon berühren, dass wir ein materiell gutes Leben führen – auf Kosten von Millionen Menschen, die zu Flucht gezwungen sind oder durch Dürren und Naturkatastrophen sterben?
  • Wie berührt uns die Aussicht auf Massenmigration in den nächsten Jahren und Jahrzehnten?
  • Wie berühren uns die gesellschaftlichen Erschütterungen, die durch all diese Entwicklungen zu erwarten sind?

All das an sich heranzulassen, ohne eine Lösung zu haben, scheint einfach unerträglich. Und doch ist Berührbarkeit die Basis unserer Menschlichkeit, unseres menschlichen Kontaktes. Erst durch „gefühltes Wissen“, durch Berührbarkeit und Bewusstwerden unserer Verletzbarkeit sehen wir das Ausmaß der drohenden Katastrophe wirklich klar – und erst dann können und werden wir angemessen handeln – vor allem aber spüren wir wieder mehr Verbindung – mit uns selbst, mit anderen, mit unserer Um-Welt.

Natürlich ist besonders im Kontext der Klimakrise, die so viele heftige Gefühle auslöst, auch die Abwehr dagegen besonders stark. Abwehr-Strategien, die wir unbewußt einsetzen sind:

  • Verleugnen, dass es eine Klimakrise gibt
  • Herunterspielen („Schwankungen hat es immer schon gegeben“)
  • Auf andere (Länder, Gesellschaftsgruppen usw.) verweisen, die “zuerst handeln müssten“
  • Unrealistische, einfache Lösungen propagieren oder auf Lösungen durch andere hoffen (die Technik wird das schon hinkriegen)
  • Fatalistisch resignieren oder zynisch werden: “der Erde wird es ohne uns besser gehen”
  • Diee „ja, aber“-Strategie: „Ja, stimmt, aber …“
  • Die ad-hominem-Strategie, d.h. Menschen wie z.B. Greta Thunberg persönlich anzugreifen und abzuwerten.
  • Auf Nebensächlichkeiten oder Details ausweichen „kann man überhaupt noch Avocados essen?”
  • Aktivismus bis zum burn-out

Warum wehren wir überhaupt ab?

Abwehr will uns schützen. Wir wollen schwierige Gefühle nicht spüren, da wir unbewusst davon ausgehen, sie seien unerträglich. Dies ist erst einmal eine gute Absicht unserer Psyche, die aber problematische Folgen hat: Wir kriegen die Wirklichkeit nicht mehr mit, können uns letztlich weniger schützen – und wir werden unberührbarer, ja unmenschlicher, uns selbst und anderen gegenüber. Gefühle, die mit der Klimakrise auftauchen und die wir abwehren, sind:

• Ohnmacht

• Hoffnungslosigkeit

• Überforderung

• Identitätsbedrohung: meine/unsere Art zu leben (fliegen, Autofahren,Fleisch essen, Wirtschaftswachstum, usw.) ist infrage gestellt

• Scham und Schuldgefühle: ich trage bei zur Zerstörung unserer Lebensbedingungen

• Zukunftsängste angesichts der Ungewissheit, was erwartet mich/uns?

• tiefe Trauer, Depression, Verzweiflung

• Rage

Was können wir tun statt abzuwehren?

Diese Abwehrversuche sind menschlich, aber zugleich ein Haupt-Hindernis, effektiv mit den Herausforderungen umzugehen. Klima-PsychologInnen sprechen bereits von „environmental melancholia“, „Pre-Traumatic-Stress-Syndrom“ oder „eco-anxiety“ . Wir brauchen Unterstützung, Gemeinschaften, Austausch, um unsere Gefühle zu erlauben und intelligent mit ihnen umzugehen. Auch ein Sortieren ist notwendig: Die Klimakrise trifft auch in jedem von uns auf persönliche Vorerfahrungen. Die Ängste können alte, kindliche Gefühle triggern, die wir als hilflose Kinder unseren mächtigeren Eltern gegenüber hatten, wenn diese nicht angemessen, nicht verantwortlich mit ihrer Macht umgingen – ebenso wie wir heutige oft Akteure in der Politik und Wirtschaft erleben. Dies kann Hass hervorrufen, um Gefühle von Ausgeliefertsein und Hilflosigkeit abzuwehren, Hass gegenüber Eltern, Regierung und allgemein Menschen, die wir als unverantwortlich erleben.

Doch Hass, der blind ausagiert wird, hilft uns nicht. Allein das Erforschen, Erlauben, Bewusst-werden schwieriger Gefühle verändert schon unsere Situation – Abwehr funktioniert nämlich am besten unbewußt.

Wichtige Fragen wären demnach:

Was habe ich zu betrauern? Nicht-erfüllte Hoffnungen und Wünscheerkennen und betrauern

Was tue ich, um nicht zu spüren? Die jeweiligen Widerstände (auch gegenüber Veränderungen) erkennen und benennen

Was genau will ich am wenigsten spüren? Schwierigen Gefühle identifizieren, die unter der Abwehr liegen

Was brauche ich? Erkenntnis unserer wechselseitigen Abhängigkeit, unserer Grenzen, aber auch Verbundenheit mit unserer Um-Welt und Mitmenschen wieder finden und neu beleben

Was ist mir wertvoll? Respekt als Haltung uns allen gegenüber wiederfinden, auch und gerade, wenn es aufgrund allgegenwärtiger Abwehr schwierig erscheint. Das heißt auch: andere Menschen nicht zu verurteilen, die sich auch unbewusst schützen möchten

Was schützt uns/hilft uns wirklich? Gewaltfreiheit und Selbstwirksamkeit werden wichtiger denn je (wofür z.B. Fridays for Future und die Extinction Rebellion Bewegung stehen)

Welche Chancen gibt es? Mehr Bewusstheit, Offenheit und Erlauben von Nichtwissen der Zukunft? Mehr Klarheit, Entschiedenheit, vielleicht auch mehr innere Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen, Erfolgsdruck, oder ähnlichem?

Abwehr bindet viel Energie, die frei werden kann für Kreativität, Aktivismus, und Gemeinschaftsprojekte – und für unsere ganz persönliche Antwort auf die Krise.

Ein Text über die Klima-Psychologin Sally Weintrobe und konstruktive Ansätze für den Umgang mit der Klimakrise findet sich hier.