Neurobiologische Ansätze zum Verständnis unserer Gegenwart

Iain McGillchrist: The Divided Brain u.a. – wie die neurobiologische Forschung uns hilft, die Klimakrise zu verstehen

„Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Verstand ein treuer Diener”, so Albert Einstein. Wir haben allerdings eine Gesellschaft erschaffen, die den Diener ehrt und das Geschenk vergessen hat.

Intuitives und rationales Denken erforschen NeurowissenschaftlerInnen immer genauer, und diese Erkenntnisse können uns sehr helfen, die multiplen Krisen unserer Gegenwart besser einzuordnen.

Seit langem wissen wir, dass das menschliche Gehirn eine linke und eine rechte Hemisphäre hat. Die lange Zeit vorherrschende Vorstellung war, dass die linke Hemisphäre der Sitz von Logik, Sprache und fortschreitendem Wissen ist – all dem, was wir brauchen, um in unserem täglichen Leben zurecht zu kommen –, während die rechte Hemisphäre der Sitz unseres kreativen, künstlerischeren und intuitiveren Lebens ist .

Der schottische Psychiater und Schriftsteller Iain McGilchrist spricht dagegen vom “geteilten Gehirn”, er argumentiert, dass die rechte und die linke Hemisphäre tatsächlich zwei unterschiedlich funktionierende Gehirne sind. Beide Gehirnhälfte erfüllen zwar die gleichen Grundfunktionen, jedoch auf sehr unterschiedliche Weise. Wie wir die Welt interpretieren und erleben, hängt davon ab, ob diese beiden Gehirne im Gleichgewicht arbeiten oder unterschiedlich dominant sind – oder eine Hemisphäre gar beschädigt ist (anschauliche Beispiele dazu finden sich in den Fallgeschichten von Oliver Sacks).

Das Zusammenspiel beider Gehirnhälften prägt, wie wir die Welt erleben – aber auch, wie wir die Welt wiederum aufgrund unseres Erlebens gestalten.

„Die beiden Hemisphären haben verschiedene Ansichten auf die Welt. Sie haben unterschiedliche Prioritäten. Die linke Hemisphäre ermöglicht uns, zu gestalten, zu formen, zu manipulieren, während das Ziel der rechten Hemisphäre darin besteht, sich auf Dinge zu beziehen und sie als Ganzes zu verstehen. Zwei Denkweisen, die beide benötigt werden, aber gleichzeitig grundlegend unvereinbar sind.”

In diesem animierten kurzen Video sind die Prinzipien des “divided brain” sehr anschaulich (und unterhaltsam) zusammengefasst. McGilchrist erläutert am Beispiel von Vögeln die unterschiedlichen Hemisphären des Gehirns, welche verschiedene Arten von Aufmerksamkeit zu ermöglichen scheinen. Und Aufmerksamkeit ist nicht nur eine weitere „kognitive Funktion“ – es ist eigentlich nichts Geringeres als die Art und Weise, wie wir uns auf die Welt beziehen. Und es diktiert nicht nur die Art der Beziehung, die wir zu was auch immer haben, es diktiert, womit wir überhaupt eine Beziehung haben.

Um am Leben zu bleiben, müssen Vögel in der Lage sein, sich gleichzeitig zu ernähren und nach Raubtieren Ausschau zu halten. Die unterschiedliche Aufmerksamkeit der Hemisphären macht das scheinbar Unmögliche möglich: Vögel achten mit ihrem rechten Auge (linke Hemisphäre) genau darauf, was sie fressen, während sie ihr linkes Auge (rechte Hemisphäre) für Raubtiere offen halten. Gleichzeitig verwenden sie ihr linkes Auge (rechte Hemisphäre), um Bindungen zu Artgenossen einzugehen.

Auch beim Menschen scheint sich die linke Hemisphäre auf eine fokussierte, partielle Aufmerksamkeit spezialisiert zu haben, die uns hilft, die Welt zu nutzen, aber dabei unsere Beziehung zu ihr verändert. Gleichzeitig dient die rechte Hemisphäre einer breiten, offenen Aufmerksamkeit, die es uns ermöglicht, uns mit allem, was nicht wir selbst ist, verbunden zu sehen – und, im menschlichen Fall, uns darin einzufühlen.

McGilchrists argumentiert in seinen Büchern (“The Master and His Emissary: ​​The Divided Brain and the Making of the Western World” und „The Matter with Things“), dass die linke Hemisphäre unser Denken übernommen und die Welt nach ihrem Bild auf eine Weise umgestaltet hat, die weder für die Menschen gut ist, noch für den Planeten und alles, was darauf lebt.

Als wäre unsere rechte Hirnhemisphäre beschädigt

„Eine Denkweise, die reduktiv und mechanistisch ist, hat uns übernommen“, sagt McGilchrist in „The Divided Brain“. „Wir verhalten uns wie Menschen, die eine Schädigung der rechten Hemisphäre haben.”

Die linke Gehirnhälfte behandelt die Welt wie eine einfache Ressource, die ausgebeutet werden kann. Das hat uns ermöglicht, mächtig und reich zu werden. Aber es bedeutet auch, dass wir die Fähigkeit verloren haben, die Welt zu verstehen, sie sinnhaft zu erleben oder auch Zufriedenheit und Erfüllung durch unseren stimmigen Platz in der Welt zu empfinden.

Die linke Gehirnhälfte achtet auf Details und sortiert und organisiert Menschen und Dinge in geordnete Kategorien. “Die linke Gehirnhälfte versteht keine Beziehungen”, sagt McGilchrist. Dies ermöglicht uns, die natürlich auftauchenden Grenzen des Wachstums (der Wirtschaft, der Ressourcen usw.) immer weiter auszudehnen und das Bewusstsein für unsere Begrenzungen auf einem letztlich begrenzten Planeten auszublenden .

Es ist die rechte Gehirnhälfte, die den Kontext und das Gesamtbild versteht – unsere Beziehungen zu allem anderen Leben, in einer komplexen, nichtlineare Welt, in der alles miteinander verbunden ist.

Die hartnäckigsten Probleme der modernen Welt – von der Klimakrise bis zur zunehmenden politischen Polarisierung – sind aus der Entwicklung des Ungleichgewicht zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte erklärbar.

Leider können wir an dieser Stelle die umfangreiche Arbeit von McGilchrist nicht angemessen skizzieren, so dass in der Verkürzung die Wucht seines Werkes gar nicht zu vermitteln ist – allein sein Buch “The Matter with Things” umfasst ganze 1400 Seiten. Selbst die Zusammenfassung von Tom Morgan ist noch 60 Seiten lang. Hier findet sich eine Zusammenfassung der Zusammenfassung (die wir demnächst hier in deutscher Übersetzung verlinken). Morgan schreibt darin über “The Matter with Things”: Es zu lesen war, als würde man einen Berg erklimmen; eine würdige Herausforderung, die mit einer atemberaubenden Aussicht von oben belohnt wird. Ich kann Ihnen die Aussicht nicht zeigen, aber ich kann Ihnen sagen, was ich gesehen habe, und Ihnen empfehlen, den Aufstieg selbst zu machen.” Das Rebel Wisdom-Interview bietet eine Einführung in das Buch und “ein gutes Barometer dafür, ob es Ihnen gefallen wird”, so Tom Morgan.

Wir reduzieren unsere kognitive Dissonanz durch Narrative

Wir leben in „kognitiven Dissonanzen“: D.h. gemäß der uns innewohnenden Sichtweise erobern und beherrschen wir die Welt, anderseits sind wir nur ein kleiner Teil dieser Welt und leben in wechselseitiger Abhängigkeit.

Üblicherweise lösen wir diese inneren Konflikt, indem wir mit Hilfe der linken Hirnhälfte Geschichten erfinden, die diese Dissonanz reduzieren, verharmlosen und vereinfachen sollen: solche Geschichten dienen z.B. dazu, die Dissonanz zwischen dem guten Leben, das wir haben und der bereits eintretenden Krise und dem drohenden Kollaps aufzuheben – meist mit der Ziel, nichts ändern zu müssen.

Wie können wir die Dissonanz aushalten, oder vielmehr innerlich “halten”, bis etwas Neues, Drittes, Integratives daraus entstehen kann – und wir offen werden für tiefe Veränderung, auch eine teife Veränderung unserer Identität?

Otto Scharmer: Neue Zugänge zu neuen Zukunftsperspektiven

“Die Kraft der Aufmerksamkeit ist wirklich die mächtigste Kraft unserer Zeit. Aufmerksamkeit, im Einklang mit absichtsvollem Handeln, kann Berge versetzen”, schreibt Otto Scharmer auf seiner Webseite. Scharmer ist ein deutscher Ökonom, Dozent und Aktionsforscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge und Gründer des dortigen Presencing Institute. Das dort entwickelte „Presencing“ ist eine beeindruckende Methode zur Zukunftsgestaltung in Transformationsprozessen.

Christiane Schulzki-Haddouti beschreibt in einem RiffReporter-Artikel die Arbeit von Scharmer, der mehrere Male mit Führungskräften ein Simulationsspiel zum Klimawandel (World Climate Simulation, entwickelt von John Sterman) durchführte: “Die Teilnehmer sollten ein globales Abkommen verhandeln, das den Klimawandel eindämmt. Durch ein Klimasimulationsmodell sahen sie, welche Klimaauswirkungen mit ihren Entscheidungen verbunden wären und mit welchen Schäden für Wohlstand, Gesundheit und Wohlergehen sie rechnen müssten. Daraufhin gingen sie in weitere Verhandlungsrunden. Nach dieser Simulation fühlten sich 81 Prozent der Teilnehmer höher motiviert, die globale Erwärmung zu bekämpfen.

Sterman betont, dass es nachweislich „nicht funktioniert, Menschen schlicht Forschungsergebnisse zu zeigen.” Die World Climate Simulation funktioniere, “weil es den Menschen ermöglicht ihre eigenen Ansichten zu äußern, ihre eigenen Vorschläge zu ergründen und so für sich selbst zu lernen.” 

Ziel muss sein, gemeinsam eine entstehende Zukunft für das System zu erspüren, zu inspirieren und zu gestalten, eine Zukunft, die das Wohl aller und nicht nur das Wohl einiger weniger wertschätzt.“

Otto Scharmer

Grundlage dazu ist Scharmers „Theorie U“, ein Vortrag dazu findet sich hier. Der sogenannte U-Prozess des gemeinsamen Hinspürens und Gestaltens besteht aus mehreren Schritten, beginnend mit eigenen Wahrnehmungen, die von alten Denkgewohnheiten bestimmt sind. Es folgt ein aktives Auseinandersetzen mit anderen Perspektiven, man beginnt, “an der Grenze zwischen Beobachter und Beobachtetem” wahrzunehmen, andere Perspektiven zu erleben. Dann folgt eine Phase des sogenannten Presencing, d.h. “anwesend” zu werden, sich in mögliche Zukünfte einfühlen. Schließlich geht es auch darum, eine Sprache für die Intention zu finden, “Kopf, Herz und Hand zu verbinden.”

Scharmer versucht also, Handeln und Bewusstsein zusammenzuführen, Oberflächensymptome auf ihre eigentlichen Ursachen zurückzuführen bzw. die Ursprünge des eigenen Handelns zu verstehen, den offenbar „blinden Fleck“ im eigenen Bewusstsein: 

„Der blinde Fleck bedeutet, dass wir nicht sehen, dass wir selbst es sind, die die soziale Wirklichkeit hervorbringen, und so verstehen wir nicht, wie unser individuelles Bewusstsein und unsere Zielsetzung die soziale Realität um uns herum beeinflussen.“ 

Otto Scharmer

Um diesen blinden Fleck zu erhellen, lehnt Scharmer seine Methode an die sieben Meditationszustände des Führens an, die Huai-Chin Nan in seiner Interpretation von Konfuzius‘ Essay „Das große Lernen“ herausstellt. Mit der so entwickelten Methode führte das Presencing Institute in den letzten Jahren zahlreiche Trainingsprogramme mit Führungskräften aus Unternehmen, Politik und zivilgesellschaftlichen Organisationen durch.

Martin Kalungu-Banda, der das Presencing Institute Africa mitbegründete, beschreibt einen solchen Prozess – wie er während des Action Lab Events des CDKN (Climate and Development Knowledge Netzwerk) 2011 in Oxford stattfand:

„Die Konferenz begann mit einem dreitägigen ‚Erspüren des Feldes‘, bei dem versucht wurde, so viel wie möglich über die brutalen Fakten des Klimawandels zu erfahren und sich gegenseitig mitzuteilen. Danach begaben sich die Teilnehmer eine Stunde lang in den botanischen Garten von Oxford, um nachzudenken. Die Leitfragen für diese Reflexion waren: ‚Wenn ich alles Unwesentliche beiseitelassen könnte, wie würde mein Zukunfts-Selbst im besten Fall aussehen?‘ und ‚Was erwartet das Leben von mir/uns, was soll ich/sollen wir tun, damit die Welt eine andere Zukunft hat?‘ Nach dem Ende der Denkpause kehrten die Teilnehmer in den Plenarsaal zurück. Obwohl die Gruppe aus zweihundert Personen bestand, fühlte sie sich wie eine kleine Gruppe an, die schon lange nach Lösungen für eine Herausforderung gesucht hatte, vor der alle gemeinsam standen. (…) Mit ungewohnter Entspanntheit hörten die Teilnehmer sich gegenseitig zu, welche Einsichten den Einzelnen in der stillen Schweigestunde gekommen waren. (…) Selbst wenn wir es nicht aussprachen, so schienen wir während der einstündigen Denkpause einen Blick auf eine gemeinsame Zukunft erhascht zu haben. (…) Durch das Arbeiten in kleinen Gruppen (…) entstanden aus der Zusammenarbeit der Teilnehmer 26 Prototypen als Möglichkeiten, die Landebahn für die gemeinsame Zukunft vorzubereiten, die wir zusammen gesehen hatten. Außerdem entwickelten sich im Laufe der viertägigen Veranstaltung verschiedene Arten der Zusammenarbeit und Netzwerke.“

Martin Kalungu-Banda

Wer konkreter nachlesen möchte, wie Scharmer den Transformationsprozess der Klimasimulationen beschreibt, findet hier ein längeres Interview mit ihm.

Ähnlich wie bei den sogenannten Talanoa-Dialogen bauen die Teilnehmer einen persönlichen Bezug zur Klimakrise auf und überwinden damit Distanzierungs- und Entkopplungsmechanismen (zur Klimawandel-Verleugnung ist hier ein weiterer lesenswerter Artikel von Christoph Schrader verlinkt).

Bruttonationalglück statt Bruttoinlandsprodukt

Ein weiterer kreativer Ansatz des Scharmers Presencing Institute: Gemeinsam mit Bhutans Zentrum für das Bruttonationalglück gründete es ein Labor, um neue Methoden zu erforschen, wie Zufriedenheit und Fortschritt in Gesellschaft gemessen werden können. Das Bruttonationalglück ist der Versuch, den ökonomischen Fortschritt anders als durch das Bruttoinlandsprodukt zu erfassen. Bhutans ehemaliger Premierminister Lyonchen Jigme Y. Thinley begründete diese Entscheidung damit, dass „wir wissen, dass es kein echtes anhaltendes Glück gibt, wenn andere leiden, und dass es nur daraus erwächst, dass wir anderen dienen, in Harmonie mit der Natur leben und unsere Innere Weisheit und das wahre und strahlende unseren eigenen Geistes entfalten“. (Auch dies ist zitiert aus dem riffreporter-Artikel aus der Rubrik “Klima Wandeln” – ein Abo lohnt sich und unterstützt deren wertvolle Arbeit.)

Radikale gemeinsame Präsenz in Zeiten des Zusammenbruchs

Zuletzt noch ein ganz aktueller Artikel von Scharmer: „Protect the Flame – Circles of Radical Shared Presence in Times of Collapse“. Er beschreibt, wie viele Ansätze es derzeit gibt, um unseren Weg in eine regenerative, friedliche und gerechte Zukunft neu zu denken. Zwei Veranstaltungen fanden gerade statt: das World Ethic Forum (WEF) und das jährliche Treffen des World Future Council (WFC), einem Treffen von 50 globalen Changemakern aus Zivilgesellschaft, Regierung, Wissenschaft und Wirtschaft. Der UN Human Development Report 2021–2022 ist gerade veröffentlicht, und demnächst erscheint die neue Studie des Club of Rome, 50 Jahre nach dem bahnbrechenden Buch „Grenzen des Wachstums“: Earth for All: A Survival Guide for Humanity.

In all diesen Bewegungen erkennt Scharmer drei große gegenwärtige Themen:

  • Wir erleben einen beschleunigten Zusammenbruch, zum einen in unserem Ökosystem: Überschwemmungen und Dürren, die oft als „die schlimmsten seit 1.000 Jahren“ bezeichnet werden, die Destabilisierung des Klimas, fallende Grundwasserspiegel, der Verlust von Böden und der biologischen Vielfalt. Die Symptome des Zusammenbruchs gesellschaftlicher Systeme sehen wir in verstärkter Polarisierung, Ungleichheit, Rassismus, Gewalt und Krieg sowie in den Anfängen klimabedingter Massenmigration.
  • Wir erleben Mutlosigkeit, wenn wir all das wahrnehmen. Es scheint nichts zu geben, was wir dagegen tun können, es gibt eine allgegenwärtige kollektive Depression, die uns alle prägt, insbesondere unsere Jugend, die die Last unseres gesellschaftlichen Versagens in die Zukunft tragen wird.
  • Wir erleben das Paradoxon, dass wir fast alles wissen, was notwendig ist, um den Zusammenbruch der Zivilisation zu verhindern – wir haben das meiste Wissen, die meisten Technologien und alle finanziellen Mittel, die notwendig sind, um die Dinge umzukehren – und doch tun wir es nicht.


“Was bedeutet dies? Dass wir in einer Phase des Übergangs leben, in der eine Zivilisation endet und eine andere geboren wird. Und wir als Hüter des Planeten Erde und all seiner Spezies aufgerufen sind, die Flamme unserer Zukunftsmöglichkeiten zu schützen. Was ich mit zivilisatorischem Zusammenbruch (und möglicher Regeneration) meine, ist ein Prozess, der drei Kernmerkmale verkörpert:

  • Wir können deutlich die Symptome einer beschleunigten sozialen und ökologischen Desintegration, des Kollapses und Zusammenbruchs erkennen.
  • Wir sehen einen Zusammenbruch sowohl der Fähigkeit, die aktuelle Situation zu verstehen als auch darauf zu reagieren. Wir verlieren die Fähigkeit, ein gemeinsames Gespräch darüber zu führen, was passiert. Dieses Problem wird durch die toxischen Auswirkungen von “dark money” in der Politik und in Social-Media-basierten Unternehmen verschärft, die Fehlinformationen, Polarisierung und negative Emotionen verstärken.
  • Wir sehen einen massiven Anstieg der psychischen Gesundheitsprobleme. Laut dem Human Development Report 2022 hat einer von acht Menschen auf der Erde psychische Probleme. Unser kollektives Gefühl der Hilflosigkeit hindert uns daran, kreativ auf den aktuellen Moment zu reagieren.

Angesichts unserer aktuellen Situation könnten wir sagen: Wer nicht depressiv ist, ist wahrscheinlich nicht gut informiert.”

Im Folgenden beschreibt Scharmer am Beispiel Amerikas, wie für die drängendsten Probleme noch immer falsche Lösungen – politisch, militärisch, wirtschaftlich – gesucht werden. So sind die USA einerseits “die größte militärische Supermacht der Welt, bis an die Zähne bewaffnet”, andererseits gibt es keine Antwort auf die wirklichen Bedrohungen und Gefahren die von innen kommen (wie die Terroranschläge vom 11. September, der Angriff auf das Kapitol vom 6. Januar, klimabedingte Sicherheitsrisiken, Angriffe auf Zivilisten durch bewaffnete Bürger).
Im wohlhabendsten Land der Welt sinkt die Lebenserwartung, psychische Gesundheitsstörungen sind die häufigsten Probleme, die Beeinträchtigungen und Einschränkungen bei Jugendlichen verursachen. Dennoch konzentriert sich das Gesundheitssystem weiter auf externe Bedrohungen.


Weder die Märkte noch die Regierungen sind also in der Lage, die heutigen Herausforderungen zu bewältigen. Dennoch sieht Scharmer unseren kollektiven Zustand zunehmender Gewahrwerdung der Krisen als ein Zeichen der Hoffnung – weil er eine Abkehr von der Verleugnung bedeutet.

Aufgrund der oben beschriebenen Forschungsergebnisse beschreibt Scharmer im Folgenden vier Stadien, durch die seine Teilnehmer gingen:

  • Verleugnung: Vernachlässigung der tatsächlichen zukünftigen Auswirkungen der Entscheidungen („nicht mein Problem“)
  • Distanzierung: Das Problem anerkennen, aber die Schuld auf jemand anderen schieben („nicht meine Schuld“)
  • Depression: das Gefühl, dass „es zu spät ist“
  • Deep Sensing & Co-Kreativität: es schaffen, im Moment zu bleiben, ruhig zu bleiben und das Alte loszulassen, um neue Möglichkeiten entstehen zu lassen.

In der Simulation führt diese letzte Phase die Teilnehmer oft zu radikal neuen Wegen der Zusammenarbeit und gemeinsamen Gestaltung, während sie aus einem gemeinsamen Bewusstsein des Ganzen heraus handeln.

“Wir wissen, dass der Weg nach vorn nicht einfach sein wird. Wir wissen, dass die Lösung unserer Probleme in diesem Jahrhundert nicht Big Government ist. Nicht Big Money. Und auch nicht Big Tech. Natürlich brauchen wir alle drei – Regierung, Kapital und Technologie. Aber was wir vor allem brauchen, ist eine tiefgreifende Veränderung unserer Beziehungsqualitäten, die es uns ermöglicht, die Flamme zu schützen und zu pflegen.
Wenn Systeme zusammenbrechen, was bleibt uns übrig? Wir bleiben mit unseren Beziehungen zurück. Wie wir uns auf Mutter Natur beziehen, wie wir uns aufeinander beziehen und wie wir uns auf unser entstehendes Selbst beziehen – das sind unsere drei Quellen, um unsere Flamme zu schützen, zu pflegen und zu kultivieren. Wenn das stimmt, dann ist der wichtigste Hebel für den Fortschritt auf unserem gemeinsamen Weg die Schaffung von Infrastrukturen, die Führungskräfte, Bürger und Gemeinschaften dabei unterstützen, ihre Beziehungen zu verändern: von toxisch zu transformativ, von extraktiv zu regenerativ.

Von September bis Dezember 2022 bietet das Presencing Institute ein kostenloses Online-u-lab an.

Informationen dazu gibt es hier.

P.S. von uns: Ganz herzlichen Dank an Hunter Beaumont für die wertvollen Informationen und Hinweise zu diesem Thema!