Evolutionsphilosophie – Daniel Schmachtenberger: “Phase shift for humanity”, dt. Übersetzung (Teil 3)

Hier geht es zum Anfang der Übersetzung des Talks von Daniel Schmachtenberger mit David Fuller.

Und im Folgenden nun der dritte von vier Teilen des Talks, bestmöglich übersetzt (wir sind keine Profis). Für alle, die lieber längere Texte lesen, als das Gespräch nachzuhören. Was wir aber dennoch sehr empfehlen, um zu erleben, wie Schmachtenberger diese Themen im Gespräch entfaltet: komplex, aber nicht kompliziert.

David Fuller: Das wäre meine Frage – wie geben wir den Menschen ein Gefühl für diese Verbindung über sich selbst hinaus? Wie vermitteln wir ihnen ein Gefühl für diese Verbindung zur Natur und zu dem, wovon sie abhängig sind?

Daniel Schmachtenberger: Eine wichtige Sache beim Homo sapiens –  und das ist anders als bei allen anderen Arten, so weit wir wissen, ein Pferd zum Beispiel wird geboren und ist innerhalb von 20 Minuten auf den Beinen. – Ein Mensch braucht dazu ein Jahr. Wenn wir darüber nachdenken, wie wir so lange hilflos sein können, evolutionär gesehen, – man kann sich vorstellen, wie viele 20-Minuten-Segmente in ein Jahr passen, um zu begreifen, um wieviel hilfloser wir sind. 

Selbst ein Gorilla oder ein Schimpanse können sich von den ersten Minuten an im Fell der Mutter festhalten. Und wir können in den ersten drei Monaten nicht einmal den Kopf bewegen. Wir sind sehr lange Zeit Föten.

Der Grund dafür ist, dass sich alle anderen Tiere entwickelt haben, um in eine Nische in der Umwelt zu passen – wir dagegen erschaffen Nischen, in der Arktis, auf die Inseln, in der Wüste. Wir konnten uns überall in Nischen anpassen, und dann haben wir neue Nischen wie Städte geschaffen. 

Und so konnten wir kein „hardwired“-Programm zur Anpassung an eine bestimmte Umgebung mitbringen, wir mussten flexibel sein, lernen, was die jeweilige Umgebung war. Früher war es überaus wertvoll, Speere zu werfen, das tun wir nicht mehr, wir schreiben vielleicht SMS und tun andere Dinge – und müssen also tatsächlich in der Lage sein, flexibel zu lernen.

Das bedeutet, dass wir radikal stärker von unserer Umwelt beeinflusst werden als alle anderen Lebewesen – und zwar nicht nur in der Kindheit, sondern bis ins Erwachsenenalter hinein, wir werden aufgrund der Neuroplastizität kontinuierlich von unserer Umwelt beeinflusst. 

Wenn wir also darüber nachdenken – unsere gesamte Evolutionsgeschichte fand in Ökosystemen statt, von denen wir abhängig waren, dort, wo wir jeweils waren. Die Komplexität der Natur, die selbstorganisierende Dynamik der Natur war das, was unser Nervensystem aufnahm und wofür es eine Intuition bekam. Und nun wachsen wir auf, nicht ein mehr verbunden mit dem System einer komplexen Natur, sondern nur noch in manikürter Natur.

Alle von Menschenhand geschaffenen Strukturen sind kompliziert, nicht komplex – sie sind alle zerbrechlich.

Natürliche Strukturen sind komplex. Von Menschen geschaffene Strukturen sind kompliziert

Wenn du dieses Haus zum Einsturz bringst, baut es sich nicht von selbst wieder auf. Ein Wald, den du niederbrennst, tut das. Wenn du diese Kamera beschädigst, repariert sie sich nicht selbst – aber wenn du mich schneidest, repariert meine Haut sich selbst. 

Also, wir haben nicht einmal eine Ahnung davon, was Natur ist. Oder Komplexität ist. Oder was Selbstorganisation ist, weil wir damit keine Zeit verbracht haben. Und wir werden konditioniert von dem, was uns umgibt. 

Jetzt wachsen jüngere Generationen – fast ihr ganzes Leben, von ihrer frühesten Neuroplastizität an – zweidimensional auf. Und sie interagieren mit etwas, das keine Physik hat. Es gibt also nicht einmal eine Intuition dafür, wie Physik funktioniert.

All dies ist nur ein Vorwort, um zu sagen, dass es keine triviale Sache ist, wieder ein Gefühl, ein Gespür für unserer Verbundenheit mit allem zu bekommen. Es ist ein tiefer Prozess. 

Und es gibt einen kognitiven Schritt, mit dem Menschen beginnen können, und der wirklich wichtig ist – sobald man wirklich darüber nachdenkt und sich fragt „Wer bin ich ohne Pflanzen, und wer bin ich ohne Bestäubung“ und man merkt „Ich würde nicht existieren“,  fängt man an zu begreifen, dass es diese Art von Narzissmus ist, in dem wir fast die ganze Zeit stecken. Und immer an mich selbst zu denken, ist nicht einmal ein guter Gedanke. Es ist nicht einmal ein rationaler Weg, mein eigenes Leben zu optimieren. Abgesehen davon, dass es Depressionen erzeugt. Allein schon sich kognitiv mit der Vernetzung von allem zu befassen, hilft tatsächlich sehr. –

Wie wie können wir diese Sinnhaftigkeit körperlich spüren? Indem wir Zeit in der Natur verbringen, psychodelische Erfahrungen machen, jede Art von Praxis, die erweiterte Zustände erzeugt. Dafür sorgen, dass wir intimere Beziehungen zu mehr Menschen haben können – all diese Dinge.

David Fuller: Und wenn man es so skizziert, erscheint die Herausforderung immens. Sind Sie hoffnungsvoll oder pessimistisch?

Daniel Schmachtenberger: Ich denke, dass der Wandel, vor dem wir stehen, nicht mit dem Wandel vom Mittelalter zur Aufklärung vergleichbar ist, nicht einmal mit der landwirtschaftlichen Revolution.

Es ist eher wie ein Wechsel vom Einzelzell- zum Vielzeller-Leben. Es ist eine wirklich tiefe grundlegende Verschiebung auf dem Level und in der Art von Komplexität, in der Natur der Realität, über die wir hier sprechen.

Die Evolution brachte rivalisierende Dynamiken mit sich, aber auch unseren präfrontalen Kortex, unsere Fähigkeit zur Abstraktion und unsere Fähigkeit zu Design und Technologie. Löwen können als Raubtiere nicht in kürzester Zeit radikal leistungsfähiger werden, schneller werden, als die Gazellen entkommen können. Wenn sie es könnten, würden sie alle Gazellen fressen und dann aussterben, weil sie sich die Grundlage, auf der sie lebten, selbst entzogen hätten.

Und so wie die großen Wale ein bisschen schneller werden, werden auch die Robben schneller. Das ganze System entwickelt sich miteinander, gemeinsam, es gibt also keine radikalen Macht-Asymmetrien. Wir haben uns bis an die Spitze der Raubtiere entwickelt, und schufen dann Werkzeuge, die unsere Fähigkeit dazu verbesserten, dies auf einer exponentiellen Kurve zu tun. Doch die Fähigkeit der Umgebung, damit umzugehen, erhöhte sich nicht exponentiell. 

Das ist also selbst-auslöschend. Das ist Evolution, modifiziert durch Technologie. Um den nächsten Schritt machen zu können, brauchen wir etwas, was jenseits dessen ist. Und eine Möglichkeit, darüber zu sprechen, ist – Evolution ist ein unbewusster Prozess, ein algorithmischer Prozess, bei dem Arten überleben und sich reproduzieren. Und er ist extrem langsam und das Meiste scheitert. Was ihn jedoch kennzeichnet, ist ein tiefes Maß an Komplexität. 

(Menschliches) Design ist ein viel schnellerer Prozess. Aber wir bauen immer Dinge, die eine Reihe von Funktionen optimieren, die wir optimieren wollten – aber sie beeinflussen mehr als das, was wir optimieren wollten, auch Externes, es gibt immer einen Schaden, der nicht beabsichtigt war.

Das Design der Evolution ist etwas anderes als nur Technologie. Wenn wir komplizierte Systeme entwerfen – und dies ist etwas anderes als komplexes Design, das unbewusst ist: dabei gibt es einen Prozess, durch den, in mythopoetischen Begriffen ausgedrückt, der evolutionäre Prozess die geordnete Komplexität immer weiter erhöht hat, bis wir zur Fähigkeit der Abstraktion gelangt sind, die Evolution selbst betrachten, die Prinzipien der Evolution betrachten, sehen, was sie tut und uns dafür entscheiden, bewusst an der unmittelbaren Evolution selbst teilzunehmen.

Und so haben wir die Möglichkeit, uns vom Teil eines Ganzen, miteinander konkurrierend, hin zu einer Macht zu bewegen, die das schließlich unmöglich macht. Wir sind nun Agierende.

Wir können uns nicht als die Spitze der Raubtiere definieren, wenn wir die Fähigkeit haben, ganze Arten auszurotten, ganze Biosphären zu ruinieren, neue Arten zu schaffen – das ist kein adäquates Modell mehr. 

Das Einzige in der Natur, was diese allgegenwärtige Kraft hat, Arten hervorzubringen und Arten zu zerstören, die Geographie zu verändern, ist die Natur selbst. Nun mit Hilfe von Agierenden, die wach genug sind. 

Also denke ich, der nächste Schritt ist, zu erkennen, dass Technologie, die aus unserem Abstraktionsvermögen resultiert – aber auf Einzelnes konzentriert und nicht darauf fokussiert ist, wie das Ganze zusammenpasst – , diese Technologie gibt uns sozusagen die Macht der Götter, und müssen wir die Liebe und Weisheit und das Verständnis von Göttern bekommen – oder wir löschen uns selbst aus, mit und aufgrund dieser Macht.

Das ist eine große Aufgabe. Ich glaube nicht, dass bescheidenere Aussagen als diese angemessen sein könnten.

David Fuller: Sie haben nicht gesagt, ob Sie denken, dass wir es wahrscheinlich schaffen werden oder nicht …

Es liegt in der Natur des Universums, nie Dagewesenes zu tun

David Schmachtenberger: Ich denke, wenn Sie – nehmen wir die Standarderzählung zur Evolutionsgeschichte, und sagen, okay, es gab kein Leben im Universum, bis es vor drei Milliarden Jahren auf der Erde begann, also haben Sie Milliarden von Jahren, richtig, plus Milliarden von Jahren davor, als es noch kein Leben gab und eine Menge Mist passierte –  es gab eine Menge Physik und Chemie und Kosmologie, man könnte basierend darauf sagen, dass es wahrscheinlicher war, dass es dieses Ding namens Leben niemals geben würde. 

Wenn man dann die reale Entwicklung ansieht, scheint es, als müssten nur alle Kombinatoriken richtig laufen, und dann entsteht Leben. 

Und dann gibt es ungefähr eine Milliarde Jahre, in denen es nur einzelne Zellen gab – und es scheint, als ob eine Milliarde Jahre eine wirklich lange Zeit sind, um etwas herauszufinden. Es wird wohl keine Mehrzeller geben. Doch dann bewegen sich die einzelligen Kreaturen in einer Verschiebung auf die selbstinduzierte Auslöschung zu, was zu dem Umweltdruck führt, der dann zu Mehrzellern führt – das ist ja eine der Erzählungen darüber, wie das passiert ist. Es liegt also in der Natur des Universums, beispiellose Dinge zu tun. Das ist in etwa das, was Evolution bedeutet – jede neue Epochen ist beispiellos, noch nicht da gewesen. 

David Fuller: Sie sagen also, wir brauchen ein Wunder, aber wir haben auch schon Wunder in der Vergangenheit erlebt?

David Schmachtenberger: Wir brauchen einen epochalen Wandel, nicht die Fortsetzung der bislerigen Entwicklung, sondern einen deutlich anderen, nichtlinearen Shift. Wenn wir nur eine Weiterführung der aktuellen Linie versuchen – okay, dieses und jenes wird mit der Technik besser, hoffen wir zumindest – das wird nicht funktionieren.

Aber wenn wir sagen, was sind die notwendigen und hinreichenden Kriterien für eine Zivilisation, die sich mit zunehmender Macht nicht selbst auslöscht? Wir können diese Kriterien tatsächlich herausarbeiten, das sind Dinge, die wir tatsächlich Dinge, die wir angehen können. Das ist der einzige Schritt, der Sinn macht – daran zu arbeiten, das zu erreichen.

David Fuller: Wenn man sich das gegenwärtige politische Klima anschaut, wenn man sich die Art von Führung ansieht, die wir im Moment haben, haben Sie irgendeine Hoffnung, dass diese Politiker gerüstet sind, um den Wandel herbeizuführen?

David Schmachtenberger: Natürlich nicht. Weil sie Teil des Systems sind, das sich selbst überholt.

David Fuller: Haben Sie ein Gespür dafür, wie es dann zum Wandel kommt, wenn sie es nicht können?

David Schmachtenberger: Ich sage Dinge, die wahrscheinlich jeder schon einmal gehört hat, die berühmten Worte von Bucky Fuller: Versuchen Sie nicht, das bestehende System zu bekämpfen oder es zu reparieren – bauen Sie einfach ein neues, das es überholt, und das die richtigen Eigenschaften hat – darum geht es.

Sohn-Rethel (1899 -1990), war deutscher Nationalökonom und Sozialphilosoph. Oder Nationalphilosoph und Sozialökonom?