Wie psychische Abwehr uns lähmen kann

Crisis? What Crisis? Cover des vierten Albums der englischen Band Supertramp, 1975

Wir wissen, wie drängend die globale Krimakrise ist. Die Fakten sind bekannt, und auch die Schritte, die notwendig wären, das Ausmaß der Erderhitzung (noch) zu begrenzen. Der erstaunliche Punkt ist, dass wir diese Schritte nicht gehen. Im Gegenteil. Wie kommt es, dass wir mehr denn je fliegen, dass immer mehr Großflughäfen gebaut werden, wir größere Autos fahren als noch vor 10 Jahren? Dass wir unseren Energie- und Resourcenverbrauch nicht reduzieren, sondern Gas in unvorstellbaren Mengen fördern?

Warum tun wir das?

Das Verhalten von uns Menschen ist irrational, widersprüchlich, und es braucht ein tieferes Verstehen dieser innerpsychischen Dynamik. Die Klimakatastrophe ist zutiefst auch ein menschliches, psychologisches Problem. Es ist die Konsequenz davon, welche Art zu leben wir gewählt haben, ob wir uns entscheiden, weiterzumachen wie bisher, unsere wohlvertrauten, liebgewordenen Gewohnheiten und Verhaltensmuster beizubehalten wie bisher. Oder uns zu ändern.

Was hindert uns, unseren Verstand, unsere Kreativität und unser menschliches Potential für eine sichere Zukunft einzusetzen?

Wenn wir uns einfach einmal vorstellen: Ein weiter, heller Sandstrand mit Palmen, friedlich und still … Und dann wechselt das Bild: Ein mit Plastikmüll und Teerklumpen verdreckter Stand, durch Sturm verwüstete Palmen, Leichen von ertrunkenen Migranten. – Und dann realisieren wir, dass dies schon längst an immer mehr Orten auf der Erde Wirklichkeit ist. Was erleben wir dann?

Wahrscheinlich sind die Gefühle zu überwältigend, die Erschütterung zu heftig, die Hilflosigkeit zu unerträglich. Die Trauer um die Menschen, die jetzt schon massiv unter diesen Krisen leiden zu groß, die Angst über die zu erwartende Zukunft unserer Kinder zu schmerzhaft, der Schmerz um die ausgestorbenen Arten heftig, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit … und dann?

Dann geschieht, was wir meist in solchen Situationen tun: Wir finden Wege, diese Gefühle nicht zu spüren, wir wehren sie ab – und wie wir aus der Psychologie wissen, haben wir sehr wirkungsvolle Abwehrmechanismen. Diese sind ganz normale menschliche Reaktionen. Aber es sind eben Abwehrmechanismen, die uns daran hindern, effektiv mit den Herausforderungen umzugehen. Wir reagieren nicht adäquat und intelligent auf die Situation, sondern lassen uns unbemerkt von unserer psychischen Abwehr leiten. Dieses Phänomen zeigt sich tagtäglich, zum Beispiel in den Kommentaren zur Berichterstattung über die Klimakrise. 

Die Versuche, eine als zu überwältigend empfundene Angst abzuwehren, also nicht zu spüren, sind vielfältig: Verdrängen und Verleugnen oder Resignation und innerer Rückzug. Auch Aggression kann eine Abwehr sein. Um die eigenen überwältigenden Gefühle – wie Angst, Wut, Destruktivität, Scham, Schuldgefühle – nicht zu spüren, verleugnen oder verdrehen wir die Tatsachen, wir spalten sie ab, wir projizieren, beschuldigen andere, wir idealisieren führende Menschen (die Politiker, Wissenschaftler, Umweltschützer machen das schon), oder wir flüchten uns in Verschwörungstheorien. Wir lehnen eigene Verantwortung ab oder wir argumentieren auf Nebenschauplätzen, um mit der Heftigkeit des eigentlichen großen Themas nicht zu tun haben zu müssen. Oder wir flüchten uns in Sarkasmus oder Zynismus: Ist doch eh alles zu spät. Na ja, der Erde wird es besser gehen ohne uns.

Typische Kommentare, die in dem Zusammenhang immer wieder auftauchen:

Ja, stimmt alles, aber andere (Menschen, Länder usw.) müssten zuerst … 

Und die Klimaaktivisten lassen sich von den Eltern mit dem Auto zur Demo fahren.

Ja, aber ich kann doch eh nichts ändern.

Die Politiker machen ja nichts … die sind doch alle … usw.

Ja, schon, aber man sollte niemand alarmieren.

Sollen wir etwa alles verbieten, Fliegen, Kreuzfahrten, den SUV-Fahrern ihre Autos wegnehmen? Das schafft doch Unruhe … 

Und, natürlich, immer wieder: 

Ja, aber die Arbeitsplätze.

Ja, aber die nächsten Wahlen.

Offensichtlich funktionieren diese Abwehrmechanismen nicht nur in jedem Individuum, sondern auch kollektiv, in Presse, in Social Media, in öffentlichen Diskussionen. Auch die Wortwahl hat dabei eine entscheidende Bedeutung: „Klimawechsel“ klingt harmloser als Klima-Katastrophe, „Schlepper“ hat eine ganz andere Bedeutung als Fluchthelfer, „Wirtschaftsflüchtlinge“ sind oft Klimaflüchtlinge.

Kollektiv gewöhnen wir uns an diese Abwehr und halten sie für normal. Eine Verhaltensänderung erscheint dann unmöglich, auf Flugreisen zu verzichten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, weniger zu konsumieren, auf Plastikartikel zu verzichten – wie soll das gehen? Selbst wenn wir wissen, wie unsolidarisch wir damit handeln, ohne Sorgfaltspflicht für nachfolgende Generationen, und wie sehr wir uns letztlich selbst damit schaden.

Dabei haben wir das Potential als Menschen, objektiv, klar, verantwortlich und angemessen zu reagieren, jeder von uns auf seine eigene Weise. Dazu brauchen wir Vernetzung, Austausch, Halt und gegenseitige Unterstützung, um das, was durch die heftige Wirklichkeit ausgelöst wird, nicht mehr abwehren zu müssen. Wir brauchen Menschen, die diese Mechanismen durchschauen und konfrontieren – und Alternativen aufzeigen. Wir alle schätzen zutiefst ein menschliches Verhalten, mit Integrität, Objektivität, Mitgefühl und Berührbarkeit – und mit Intelligenz. 

Als ich selbst meine persönlichen Abwehrstrategien mehr und mehr entdeckt und erforscht habe, wurde mein Blick klarer und offener – ich las die täglichen Berichte zur Klima-Katastrophe plötzlich mit einem tieferen Verstehen. Und mir wurde klar, dass wir bereits mittendrin sind in dieser zerstörerischen Veränderung des Klimas, der Natur, der Menschen, der Gesellschaft, und wir sind tatsächlich, ökologisch gesehen, nahe am point of no return … Die Erschütterung in mir war und ist heftig: Ich sehe einer sehr traurigen und zutiefst unsicheren Zukunft entgegen. Ich betrauere das Sterben der Tier- und Pflanzenarten, des Waldes, die Verschmutzung der Meere, die Bedrohung unserer Zivilisation.

Wir wissen sehr wenig darüber, wie diese Entwicklung fortschreitet – das auszuhalten ist nicht leicht. Wir brauchen eine tiefe seelische Anbindung und Verbindung mit andern Menschen. Menschen, die ebenso offen sind, mit der tiefen Veränderung umzugehen, die längst stattfindet.